Filz in der Brandung

ANMERKUNGEN ZU EINIGEM #6

Von Esther Veils

Liebe Kinder, ich muss euch etwas gestehen. Ja, ich gebe es zu. Ich habe ferngesehen. Und das in dieser Zeit, in der es so vieles gäbe, womit sich ein Mensch beschäftigen könnte, brächte sie oder er bloß den Mut auf, sich ein wenig zu wandeln. Ich aber wandle auf ausgetretenen, abgeschliffenen, geradezu faden Pfaden. Mit der Selbstmissachtung einer Süchtigen ziehe ich mir Bilder rein, die noch weniger als flach sind. Deren Wirkung hält infolgedessen meist nur so lange an, wie sie gesehen werden; eine Sättigung kann wegen des geringen Nährwerts kaum stattfinden, paradoxerweise ist aber Übersättigung möglich und sogar wahrscheinlich. Bis zum nächsten Einschalttermin halt.

 

Heißa! Es gibt neuerdings etwas Neues. Zum einen sind da die umfassenden Kampagnen, die sich auch in den bei diversen Sendern eingeblendeten Hashtags niederschlagen – „#WirBleibenZuhause“, sagen die Sender, die wie Internet- und Mobiltelefonanbieter zu den Wenigen gehören, die jetzt stärker frequentiert werden als zuvor. An der Bugwelle dieser Kampagnen gischten verschiedene eilig zu Hause gebliebene Formate, wo sich manchmal mehr, manchmal weniger bekannte Figuren der Fernsehlandschaft per Computer mit einem leeren Studio unterhalten, gelegentlich auch miteinander. Oder so ähnlich.

 

Die finde ich persönlich nicht so interessant. Ich skype ohnehin nicht gerne, versuche es tunlichst zu vermeiden, und wahrscheinlich auch deshalb finde ich nicht wirklich Gefallen daran, anderen dabei zuzusehen. Diese Art der Realität mit Zwischenwirt mag ich vor allem deshalb nicht, weil es dabei eigentlich nie möglich ist, seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. Mir ist es jedenfalls noch nicht gelungen.

 

Spannend hingegen finde ich – Oweh, hier muss ich noch ein Geständnis ablegen! Ich habe nicht nur einfach so ferngesehen … Ich habe auch Comedy geschaut, mich gewissermaßen in die Tiefen der menschlichen Fernseele begeben, televisionär die Hallen aufgesucht, in denen üblicherweise Einzelpersonen vor riesigem Publikum gleichzeitig live und aufgezeichnet auftreten, weil simultan auf gigantische Bildschirme projiziert, damit auch jede/r die/den Star sehen kann, was bei der Entfernung der hinteren Ränge von der Bühne sonst nicht zu gewährleisten wäre. Half-live sozusagen. Aber bleiben wir der Einfachheit halber bei der üblichen Benennung. Wir sparen ja derzeit die Energiekosten für den Riesenmonitor.

 

Dass die Publikumsmasse plötzlich weggefallen ist, hat zwei unmittelbare Effekte. Erstens ist es viel leichter, die Live-Sendung von der aufgezeichneten zu unterscheiden: Die aufgezeichnete Show hat das Publikum, das ihrer Schwester fehlt. Und das ist bereits der zweite Punkt. Das Live-Event ohne Publikum ist ein neues Format, das bisher kaum vorstellbar war (vielmehr stellte man es sich einfach nicht vor) und dennoch plötzlich Wirklichkeit wurde.

 

Die Comedians haben’s schwer. Stand-up kann eine feine Sache sein, ohne Empfänger wird’s allerdings ein wenig heikel. Auf mich wirkt das so: Der Kasperl springt mit einem derben „Ha-haa!“ auf die Bühne, lässt seine Tirade vom Stapel wie ein Eintänzer seine Beckenmuskulatur und sucht nach dem nächsten Opfer, an dem er den Pracker applizieren kann. Leider ist weder ein Krokodil noch ein böser Zauberer zugegen – oder, in Kasperls früherer und weniger politisch angepasster Version, der Polizist und die Gretel, die in jeder Folge gewaltsam zu Tode kommen. Nein, nicht nur Böse- und Gutwichte fehlen, formidable Gegenspieler zur Bekräftigung der eigenen Kraft, sondern auch das Geschrei der aufgeregten Kinder, die an Kasperls Statt zittern, fiebern und bangen, und ihn mit lauten Rufen (die er selbstverständlich erst im letzten Augenblick hört) vor dräuenden Gefahren warnen.

 

Schön ist das, wenn es klappt, weniger schön, wenn man es sich einbilden muss. Das so aufgetretene Vakuum im Raum der Comedy verschluckt die Lacher, die den zuhausegebliebenen Fernsehzuschauern zuvor als Anleitung dienen konnten, wann etwas lustig war und auch, wie lustig es war. Ich bin auf einmal ganz auf mich gestellt mit der Aufgabe, herauszufinden, was mich erheitert oder wenigstens zum Lachen bringt. Und schon wird die Welt etwas hohler … nein, anders. Mein Gehör ist nicht mehr verstopft von fremdem Gelächter, ich höre die gelegentlich gruselige Hallfahne des leeren Raums. Die Idee der Sitcoms, aufgezeichneten Sendungen an den passenden Stellen ebenso aufgezeichnetes Gelächter hinzuzufügen, war schon ein Geniestreich.


Die Schärfung des Gehörs durch den Wegfall des Publikums, das die Stimmung erwartungsfroher Heiterkeitswilligkeit, angeleitet von der Spannungskunst des Comedians (der Comedian?), der oder die, auf der Zuseherschaft wie auf einem Esel reitend, die Karotte der Pointe mal näher, mal weiter weg hält, aber immer im Blick; immer im Blick, dass gleich wieder ein Witz, ein Joke, eine Verunglimpfung um die Ecke kommen muss, diese Schärfung des Gehörs trifft nun auch den Inhalt des Dargebotenen.

 

Ich habe mehr Zeit, das Gesprochene zu erfassen, bin nicht abgelenkt vom Johlen anderer und habe keinen Stress, es genauso lustig zu finden wie meine Sitznachbarinnen. (Als nicht- oder vorpandemisches – jedenfalls kein aktuelles – Publikum denke ich natürlich, ich befinde mich unter Gleichgesinnten, wenn wir über dieselben Dinge lachen, das verstärkt den Effekt.) Irgendwie wird es damit automatisch weniger unterhaltsam. Billige Pointen, die ganz unverblümt auf leichte Lacher abzielen, präsentieren sich im vollen Glanz ihrer talmibehangenen Nichtigkeit. Es tritt einfach klarer ans Licht, was da gesagt wird, und das ist zumindest zweischneidig.

 

Comedy hat einen gewissen Nimbus von Gesellschaftskritik, je nach Format auch von politischer Widersetzlichkeit. Vielfach – nicht durchgehend, nicht bei jeder und jedem, das gebe ich zu – bekomme ich nun aber den Eindruck, es handelt sich bei den Comedians um die gleichen Machos, Tussis und sogenannten Wutbürger (auch so ein simplifizierender Terminus), die sie in den Scheinwerfer der Groteske stellen. Sie haben halt die Gabe, dies in witzige Worte zu fassen. Dennoch scheint mir, dass in der Comedy immer häufiger geschrien und desavouiert wird, dass die plumpe Dampfwalze alles in den Boden zu stampfen versucht, was der vorhergehende Rundumschlag noch übrig gelassen hat. Mit Kritik hat das oft gar nichts zu tun, mit Humor meiner Meinung nach auch nicht.

 

Die weniger aufgeheizte, vielleicht sogar dünnere Luft, die als Folge des fehlenden Publikums verblieben ist, trägt den Schall weniger weit, reichert ihn aber auch nicht mit den Emotionen der Empfängerinnen an. Es wird dadurch wieder leichter, stelle ich fest, den Worten auf den Grund zu gehen, weil sie nicht länger durch Ambiente und Atmosphäre verstellt werden. Und dieser Grund ist häufig nicht so tief, wie er sich darstellt.

 

(20.4.2020)