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Eine Emulsion auf dem Rhombus

KATERINA ANDREOU MIT “BSTRD” IM TANZQUARTIER WIEN

Von Helmut Ploebst

Der erste Performer in dem Tanz-„Solo“ BSTRD von Katerina Andreou ist nicht etwa ein menschlicher Körper. Sondern ein Apparat, der wie eine Skulptur mittig an die Rückwand der Bühne gestellt wurde: zwei große Boxen übereinander, darauf ein Plattenspieler für Vinyl-Tonträger mit hochgeklapptem Deckel. An den schwarzen Backdrop selbst ist – und bleibt während das gesamten Stücks – ein Satz projiziert: „We need silence for the piece“. Rechts neben dem Apparat steht auf dreifüßigem Stativ ein Scheinwerfer, links eine kleine Wasserflasche aus Plastik. Auf den Boden vor diesem Arrangement ist mit weißem Tape ein Rhombus samt Achsen geklebt, wobei die Achsen nicht durchgezogen sind, sondern im Zentrum einen Freiraum lassen.

 

Diese geometrische Figur besitzt besondere Eigenschaften. Die im Alltagsgebrauch geläufigere Bezeichnung für den Rhombus ist die Raute. Sie bildet die Innenfläche eines Doppelkreuzes – # –, englisch „hash“ (dt. Raute; Faschiertes; Haschisch), das im Deutschen auch (Schweine-)Gatter, Lattenkreuz oder Lattenzaun genannt wird und heute als „Hashtag“ zu zwitschernder Popularität gelangt ist. Katerina Andreou lässt, bevor sie auftritt, ihrem Publikum etwas Zeit und Ruhe, diese Bühneninstallation zu dekodieren. Ihr Apparat, der ausschließlich zur Wiedergabe von Musik dient, steht währenddessen auf Standby, als Ankündigung der Absicht, ihn seiner Bestimmung gemäß zu aktivieren, sein Potenzial zu entfalten oder, dramatischer formuliert, zu entfesseln.

 

Träumt der Apparat von tanzenden Schafen?

 

Die Zeit zeigt Wirkung. Bald nehmen die Zuschauerınnen die lautlose Aufforderung „We need silence for the piece“ ernst und werden ruhiger. Ein wartender Apparat, fällt dabei auf, übt, sofern das Setting ihn unterstützt, eine gewisse Autorität aus. Der europäischen Kultur ist eine animistische Beziehung zu Werkzeugen, Gerätschaften sowie Automaten immanent, und Andreou berührt mit der Inszenierung ihrer Bühne genau diese kultisch-spirituelle Komponente: Das Apparat-Rhomben-Arrangement für ihr Solo gleicht einem Altarraum, und dieser erinnert an die kulthaften Inszenierungen der DJ-Altartische von Clubs, in denen das „hörige“ Publikum nach immer ähnlichem Prinzip an den Gottesdiensten der Disc Jockeys teilhat.

 

In BSTRD allerdings fehlen Priester respektive Priesterin. An ihrer Stelle ist bloß die erwähnte Anweisung zu lesen, dass Stille gebraucht werde für dieses Stück. Das „Wort“ ersetzt also das Leittier der – hier zu imaginierenden – ekstasehungrigen Club-Herde. In Anlehnung an Philip K. Dick lockt diese Konfiguration von Zeichen die ironische Frage an: Träumt der elektrische Apparat von tanzenden Schafen? Katerina Andreou spielt gerne mit Zeichen. Jedenfalls hat sie das bereits auch in einem früheren Solowerk gezeigt: A Kind of Fierce – fierce, verstanden als heftig, wütend, leidenschaftlich oder stürmisch.

 

Sobald die Performerin schließlich – als zweite Darstellerin – in ihrer Installation erscheint, legt sie eine LP auf und aktiviert den Apparat, der sofort musikalisch repetitiv zu lärmen beginnt (den Sound hat die Choreografin zusammen mit Eric Yvelin konstruiert). Und sie beginnt zu tanzen, heftig und leidenschaftlich, ohne dabei expressiv zu werden. Dem Publikum wendet sie während der ersten Minuten ihren Rücken zu. Ihr Haar ist nass, so als wäre die Tänzerin gerade aus der Dusche gekommen. Sie trägt ein weißes T-Shirt, ebenso weiße Sneakers und eine hellgraue Hose. Das wirkt nicht wie ein Outfit fürs Ausgehen, sondern vermittelt eher den Eindruck von Alltagskleidung und „casuality“.

 

Einsamkeit unter Technologien der Gemeinschaft

 

In ihrem Tanz bedient sich Andreou einer zur elektronischen House-Musik üblich gewordenen, individuell variablen Bewegungspalette, mit der die Tanzenden ihre Involviertheit in jene Kräfte und Dynamiken darstellen, die der Sound um sie herum erzeugt. So zeigt die Künstlerin, wie der „entfesselte“ und dadurch Musik wiedergebende Apparat den Körper einer sehr jung und etwas androgyn wirkenden Frau aktiviert und leitet.

 

Gerade der enge Verhaltenskanal, in dem der Clubtanz üblicherweise fließt, erinnert wieder daran, dass kein Apparat für sich allein steht, „unschuldig“ oder unpolitisch ist. Ganz besonders gilt das für Waffen und Fortbewegungsapparate – aber eben genauso für Geräte zur Erzeugung oder Wiedergabe von akustischen Gebilden. Musikanlagen enthalten die Summe und das Zusammenwirken aller Vereinnahmungsideologien ihrer Produzenten und Distributoren, und zwar nicht als Zustand, sondern als historischen und hierarchischen Prozess. Andreous Plattenspieler-Boxen-Skulptur ist als Live-Performer für eine maschinell reproduzierte Komposition inszeniert. Dieser potenziell autoritäre Performer trägt nach der ihm innewohnenden technischen Ideologie noch eine zweite vor: die Ideologie der wiedergegebenen Musik.

 

Die Musikideologie bei BSTRD ist hier an ihrer Basis dargestellt: Seit dem Aufkeimen der House-Musik aus dem Humus von Disco in Chikago Ende der 1970er Jahre haben sich mindestens dreißig Stilrichtungen – von Acid House bis Vocal House – entwickelt. Auf Basis von House entstand in den Eighties der Techno. House wie Techno verbinden die tanzenden Körper mit der Idee von einer technologischen Fortschrittlichkeit, also einer akustisch übertragenen Maschinenideologie.

 

Diese Technikideologie stellen Andreou und Yvelin durch ihr Musikkonzept in den Vordergrund. Mit dem analogen Plattenspieler für Vinylmedien verweisen sie auf Zeit der prädigitalen Musikwiedergabe, und der Sound aus dem Apparat-Altar klingt überaus maschinell. Im Solo-Stück wird die übliche Vorspiegelung eines musikalisch generierten sozialen „Frei“-Raums für alle – eines der wirksamsten Simulakren des Neoliberalismus im Entertainment – suspendiert. Die Tänzerin ist so einsam wie es letztlich alle Besucherınnen von Clubs auch bleiben.

 

Eine Fülle von Vermischungen

 

Mehrere Elemente scheinen bisher die im Titel ausgespielte „Bastardisierung“ zu erfüllen: Mensch-Maschine, Altar-Apparat mit Spiritualität-Technologie, Bühne-Sakralraum-Club, Gemeinschaft-Isolation, Freiheit-Gefängnis, Ordnung-Ekstasis, Stille-Musik, Zeichen-Intensität, Statik-Dynamik, Idee-Ideologie, Geschichte-Ereignis.

 

Darüber hinaus sind im Titel die Vokale aus dem versal geschriebenen Wort „BASTARD“ entfernt, was einer Purifizierung der nun rein konsonantischen Buchstabenfolge entspricht und auch bewirkt, dass es – wie in BSTRD dasteht – zu einer Selbstständigkeit von üblicherweise „mittönenden“ Lauten kommt. Darin kann nun die Frage auftauchen, ob und, wenn ja, wann beziehungsweise inwieweit oder auf welchen Ebenen Bastardisierung und Purifikation zusammenspielen respektive einander überschneiden.

 

Im vor den Apparat geklebten Rhombus – – lassen sich die beiden Vokale, stilisiert und gespiegelt, wiederfinden. Dabei erscheinen der Paratext des Stücks und der installative Kontext des tanzenden Körpers als miteinander verschränkt, die Trennung stellt also eine Verbindung her. Ob das von der Künstlerin beabsichtigt war oder ob es ihr unterlaufen ist, wäre Angelegenheit einer tiefergehenden Untersuchung von BSTRD und des Entstehungsprozesses dieser Arbeit. In jedem Fall findet sich die der Begriffsanwendung zu Grunde liegende Problemstellung aktuell in etlichen Diskursmainstreams wieder – als Termini wie Mischung, Queerness oder Vielfalt, die im identitären Rührtopf nicht selten mit biologistischen Hautfarben-Rhetoriken gepanscht werden.

 

Wenn der Rhombus eine Mischung aus geometrischer Figur und stilisierten Buchstaben ist, dann umschließen die Vokale den Raum, in dem die von Andreou getanzte körperliche Figur performt. In diesem Prozess werden Geometrie und Entität, zugleich auch Zeichen und Intensität in durchgehender Trennung miteinander verbunden. Allerdings bilden sowohl Geometrie und Intensität als auch Zeichen und Entität bereits seit langer Zeit nur künstlich voneinander isolierbare Zusammenflüsse. Unter dieser Prämisse werden die Verhältnisse von Mischungen in Darstellungen sozialer Kommunikationen immer wieder untersucht, auch mit künstlerischen Methoden, wie sie Katerina Andreou anwendet.

 

Was die Tänzerin befeuert und erschöpft

 

Die tanzende Figur in BSTRD lässt sich vom Apparat und der über diesen übertragenen Musik antreiben, sogar von wiederholten Rufen – „Go!“ – anfeuern. Sie bewegt sich innerhalb der geometrischen Figur oder auf ihren Linien, und sie bricht auch aus der Begrenzung des Rhombus aus. Fallweise schwankt das Licht, hin und wieder blitzt der Scheinwerfer auf. Sie zeigt ihr Gesicht, in dem ab und zu ihre Zähne leuchten, einen verhangenen Blick; und sie gießt Wasser auf ihr Haar, um dessen Tanz zu verdeutlichen, wenn sie ihren Kopf heftig bewegt.

 

Bald brechen Blackouts den Lichtfluss, und im durch das Umdrehen der Platte markierten zweiten Teil des Stücks zeigen sich deutliche Ermüdungserscheinungen als Teil der Bewegungsdramaturgie. Einmal wendet Andreou sich ab, sitzt kurz auf einer Linie, und als sie sich wieder zeigt, ist zu erkennen, dass sie knallroten Lippenstift angelegt hat. Drei T-Shirts legt die Tänzerin ab, um zum Schluss ein neues anzuziehen, aus dem beim Entfalten eine weiße Wolke pufft. Dann geht sie ab. Die Wolke bleibt und mit ihr ein nichtendenwollend verklingender Sound. Erst als Andreou doch noch zurückkommt, hebt sie den Tonarm des Plattenspielers und trennt so – auch das Publikum von der Maschine.

 

Bastard zwischen Differenz und Lösung

 

Mit den polemisch Oberflächenwirkungen der Schlagwörter Vielfalt, Mischung oder eben Bastardisierung gibt sich Katerina Andreou in dieser Arbeit nicht zufrieden. Das verleiht dem Stück BSTRD seine performative Tiefenschärfe. Auch auf den Ebenen des Kulturellen, des Politischen und des Sozialen gilt: Bestimmte Mischungen bilden bloß Emulsionen. Das bedeutet, das Gemischte bleibt inhomogen trennt sich nach dem Prozess des Mischens – sofern das Gemisch nicht durch einen Emulgator stabilisiert wird – wieder in seine Bestandteile.

 

Katerina Andreou bringt die Idee einer solche kulturell-politsch-sozialen Emulsion mit BSTRD in den Diskurs um das Vermischte ein und damit indirekt die Forderung, diesen Diskurs zu vertiefen. Mensch und Maschine etwa bilden zusammen eine funktionale „Emulsion“, aber sie verbinden sich niemals, um bei der chemischen Metapher zu bleiben, zu einer homogenen Lösung. Eine solche wäre in sich wieder „rein“, auf der Ebene des Politischen äußerst fragwürdig und kann daher in dieses geradezu revolutionäre Stück nicht einfließen. Da bleibt der Körper der Tänzerin durchgehend der Körper der Tänzerin – als ungeheuer differenziertes Gebilde, das von seiner Umgebung trennbar ist und zugleich auch nicht, das selbst eine Umgebung bildet, die sich als Agentin auch zu entmischen sucht und dabei in ihrer Involviertheit an manchen Stellen flüchtig wird.


(21.10.2018)