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Indonesierinnen auf Augenhöhe

EKO SUPRIYANTO MIT “BALABALA” BEIM FESTIVAL SOMMERSZENE 2018 IN SALZBURG

Von Sandra Chatterjee

Fünf junge Frauen, äquidistant zueinander in einer Reihe über die gesamte Breite der Bühne des Republic in Salzburg verteilt, laufen gleichzeitig mit bestimmten, zügigen Schritten auf das Publikum zu und bleiben am Bühnenrand stehen: die Füße stabil breit, die Arme seitlich neben dem Körper, die Hände zu Fäusten geballt. Sie stehen still, ihre Blicke richten sich direkt ins Publikum. [1] Die Tänzerinnen – Siti Faradilla Buchari, Jeane Natasha Ngau, Yezyuruni Forinti, Diannovita Lifu und Trisya Novita Lolori – verhalten sich beeindruckend selbstbewusst und stark, aber nicht wütend.

 

Balabala heißt dieses Tanzstück des 1970 geborenen indonesischen Choreographen Eko Supriyanto, das im Juni 2018 beim Festival Sommerszene Salzburg und danach beim Festival de Marseille zu sehen war. Der titelbildende Begriff bedeutet „aufsteigen“ in Sahu, der Sprache einer der fünf ethnischen Gruppen in Jailolo, einem entlegenen Ort im indonesischen Nord-Maluku zwischen Neu Guinea, Sulawesi und Timor. [2]
 
Die – nicht professionellen – Tänzerinnen und ihre starken Persönlichkeiten sind für das Aufsteigen in Balabala so zentral wie die choreographisch und inszenatorisch dekonstruierten „traditionellen“ Bewegungen von sogenannten „Kriegstänzen“ aus Jailolo. Klare Richtungen, klarer Fokus, kraftvolle Sprünge, ein Federn im Rhythmus, der entweder innerlich in Stille oder aber durch verschiedene musikalische Variationen gehalten wird – plötzlicher Stillstand auf einem Bein oder in tiefen Ausfallschritten, geballte Fäuste:  Balabala spricht durch eine Klarheit der Formen, der Rhythmen, der Sprünge, der choreographischen Variationen.

 

Zugleich bringen die Bewegungen auch scheinbare Widersprüche auf, die nicht ohne weiteres aufgelöst werden können: Die Tänzerinnen haben zumeist die Hände zu Fäusten geballt – nicht krampfhaft, sondern eher locker. Sie kreisen die Handgelenke, eine delikate Bewegung mit geballten Fäusten, und führen ihre Hände in sanften Kurvenlinien, während sie sanft oder kraftvoll aus den Knien federn.

 

Bewegungen von Kriegstänzen aus Jailolo

 

Das den erwähnten Kriegstänzen entlehnte Bewegungsmaterial wird von Eko Supriyanto in einem nach europäischen Maßstäben „zeitgenössischen“ Rahmen arrangiert. Eko, der in javanesischem Hoftanz und den Kampfkünsten Pencak Silat ausgebildet ist, zerlegt das Bewegungsmaterial und verdichtet so für Balabala wesentliche Dimensionen – die Kraft und Klarheit der Bewegungen wie auch der Tänzerınnen. Supriyantos choreographische Handschrift wird deutlich: Sie ist gekennzeichnet von seinem Choreographiestudium in den USA, seinem Tanztraining und seiner intensiven  Arbeit mit auf so unterschiedliche Art wichtigen Künstlerınnen wie Madonna oder Peter Sellars.

 

Gekonnt arbeitet Eko mit dem Handwerkszeug der „zeitgenössischen“ Choreographie: Er dekonstruiert und dekontextualisiert, er choreographiert Bewegungsmaterial, das eigentlich Männern vorbehalten ist, in einer Produktion mit fünf Tänzerinnen. [3] In seiner Zerlegung dieses Bewegungsmaterials verwendet er Kontraste (beispielsweise rhythmisches Federn, unterbrochen von Momenten des Stillstands, die die Körperenergie binden), wechselnde Solo- und Gruppenformationen sowie choreographisch komplex arrangierte rhythmische Variationen und Kanon-Strukturen oder räumliche Variationen. Die Zusammenkunft von Bewegung, Präsenz und Blick ist maßgeblich von Ekos Training in javanesischem Tanz beeinflusst. [4] Manche Bewegungen entstammen nicht dem „traditionellen“ Vokabular, sondern aus der Gegenwart der Tänzerinnen und der Probenarbeit mit choreographischen Übungen.

 

Balabala hat einen klaren dramaturgischen Bogen: Eine Tänzerin beginnt mit einem Solo, in Stille. Sie bewegt sich konzentriert und hauptsächlich innerhalb eines Spots, während die anderen vier Tänzerinnen regungslos im Halbdunkel in der vorderen rechten Bühnenecke stehen. Das Solo etabliert die Prinzipien des Bewegungsmaterials, den innerlichen Rhythmus, das Federn, Momente des Stillstands, Balancen, Ausfallschritte, Rückwärtsbeugen – und zentral: den fokussierten Blick und die Fäuste. Die Musik beginnt leise in der Ferne – Gesang, der immer dichter und präsenter wird. Wenn sich das Publikum mit Musik und Variationen in der Gruppe konfrontiert sieht, ist ihm die Basis des Bewegungsmaterials schon vertraut, und Veränderungen werden lesbar.

 

Tänzerinnen in Eko Supriyantos Stück Balabala: selbstbewusst und stark.                                                                               Foto: Widhi Cahya

 

Die choreographischen Variationen werden verstärkt durch das präzise Lichtdesign von Iskandar K. Loedin, das die schlichte Bühne strukturiert und die räumliche Klarheit der Choreographie hervorhebt, sowie durch musikalische Variationen, die die Bewegungen immer neu kontextualisieren und wahrnehmbar machen. Die Komposition von A-cappella-Gesangsstücken mit verschiedenen Qualitäten (melancholisch bis heiter und kraftvoll) über Techno-Remixes und einer Cello-Variation ist von Nyak Isa Raseuki, die die Musik und vor allem den traditionellen Gesang Jailolos recheriert hat. [5]

 

Es ist wieder ein Solo, welches das Ende des Stücks einleitet und den Weg, den das Publikum gemeinsam mit den Tänzerinnen zurückgelegt hat, choreographisch sichtbar macht. Wieder stehen vier Tänzerinnen still – aber nicht als Gruppe, sondern über die ganze Bühne verstreut. Sie stehen nicht im Halbdunkel, vielmehr ist die Bühne gleichmäßig beleuchtet – eher matt, ohne dass ihre Gesichter betont werden. Ihre Arme halten sie nicht mehr still an der Seite ihrer Körper – sie haben eine Faust auf Augenhöhe erhoben und bewegen diese mit subtiler Intensität. Die Solotänzerin indes nimmt mit schnellen seitlichen Schritten auf den Zehen die ganze Bühne ein. Die Geräusche ihrer schnellen Schritte sind deutlich hörbar. Die Tänzerinnen beginnen zu sprechen. Am Schluss tanzen alle fünf gemeinsam und doch scheinbar durcheinander: Sie nehmen den ganzen Bühnenraum ein, kreuz und quer. Die Stimmen und Schritte der Tänzerinnen erzeugen einen wirkungsvollen, kraftvollen Klangteppich, der eine neue Dimension eröffnet. [6]

 

Kritischer Blick auf die „globale Bühne“

 

Eko versteht es, Inhalte und Bedeutungen sichtbar und die für ein europäisches Publikum potenziell „fremd“ erscheinenden Tänze übersetzbar zu machen – ohne die Hilfe von Text und Erklärung. Er versteht es, auf der „globalen Bühne“ komplex zu kommunizieren. Balabala erinnert mich aber auch daran, dass wir uns nicht der Illusion hingeben dürfen, dass bereits eine Gleichberechtigung kulturell unterschiedlich situierter Zeitgenossenschaften erreicht wäre. [7] Die Tanzwissenschaftlerin und Choreographin Ananya Chatterjea betrachtet eben diese „globale Bühne“, auf der international rezipierte zeitgenössische Tanzproduktionen zirkulieren, kritisch. Denn sie birgt ebensoviele Fragen wie Potentiale:

„Asian modernities, wrestling with the legacies of colonialism, displacement, Western/Northern dominance in several forms, and postcolonial jockeying for power, have often refigured the models of modernity thrust upon them in unique ways. Juxtapositions that were postmodern for the West were a necessary part of this refiguring. But, as we reckon with the implications of the global, can we continue to insist on re-mappings in our own terms? Can we reimagine our encounters in ways that disaggregate the encrustations of power that have continuously dogged our meetings with the global North?” [8]

Balabala widersetzt sich der Möglichkeit, einfach kulturalisiert und ethnisiert zu werden. Das „traditionelle“ Bewegungsmaterial ist auf Augenhöhe choreographiert und wurde auf Augenhöhe mit den anderen zeitgenössischen Performances während der Sommerszene 2018 gezeigt – nicht im Rahmen eines Sonderprogramms oder Indonesienfestivals. Ein Moment des Potentials: der Zeitgenossenschaft, der Übersetzung, und vielleicht auch der „globalen Bühne“.

Fußnoten:

  1. ^ Die Beschreibungen des Stücks basieren auf Notizen über und Erinnerungen an die Performances von Balabala während des Festivals Sommerszene 2018, Republic, Salzburg (9. 6. 2018 und 11. 6. 2018). Die Beschreibungen wurden nicht anhand von Videoaufnahmen verifiziert.
  2. ^ Balabala ist Teil einer Trilogie von Eko Supriyanto: Cry Jailolo, ein Stück mit sieben jungen Männern, Balabala, die Produktion mit fünf jungen Frauen, und Salt, ein Solo von und mit Eko Supriyanto.
  3. ^ Während des Artist Talk nach der Performance am 11. 6. 2018 erzählte Eko aus dem Entstehungsprozess des Stücks: Ausführlich beschrieb er, wie er von den Entscheidungsträgern der Community in Jailolo die Erlaubnis einholen musste, diese Tänze für Frauen zu choreographieren. Offensichtlich konnte Eko überzeugen, aber nur für die Arbeit mit jungen Frauen, nicht mit älteren Frauen.
  4. ^ Dies demonstrierte er beim Artist Talk in Salzburg am 11. 6. 2018.
  5. ^ Persönliches Gespräch mit Eko Supriyanto, 11. 6. 2018.
  6. ^ Auch diese Beschreibungen des Stücks basieren auf Notizen über und Erinnerungen an die Performances von Balabala während der Sommerszene 2018, republic, Salzburg (9. 6. 2018 und 11. 6. 2018). Die Beschreibungen wurden nicht anhand von Videoaufnahmen verifiziert.
  7. ^ Zur Herausarbeitung eurozentrischer ästhetischer Annahmen im zeitgenössischen Tanz vgl. Chatterjee, Sandra: „Kulturelle Gleichzeitigkeit. Zeitgenössischer Tanz aus Postmigrantischer Perspektive“. In: corpusweb.net (3. 3. 2017). Hier behandle ich allerdings vor allem die Kategorie des „Zeitgenössischen“ im europäischen Tanz. Der internationale Festival Circuit und zeitgenössischer Tanz vor allem in asiatischen Ländern funktioniert zum Teil nach anderen Aspekten und Mechanismen.
  8. ^ Chatterjea, Ananya: „On the Value of Mistranslations and Contaminations: The Category of ,Contemporary Choreography‘ in Asian Dance“. In: Dance Research Journal 45/1, 2013, S. 7 –21, hier S. 17.

 

(6. 7. 2018)