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History I (2): "wider" oder "wieder"?

 

Inhalt:

1/5 – Ulli Roccini: „Mobile Hinterlassenschaft“

2/5 – Rita Eck: „Sharon Hayes: Die Künstlerin als Re-Aktivistin“

3/5 – Judith Helmer: „CP–AD ist aktuell? Beweise bitte!“

4/5 – Inspektor Clouseau: „Pink Agon“

5/5 – Fred Arctor: „Being Yvonne Rainer“

 

 -- 1/5 --

 
MOBILE HINTERLASSENSCHAFT

Von Ulli Roccini


Einer Einladung von Xavier Le Roy und Christophe Wavelet folgend, hat sich eine internationale Gruppe zeitgenössischer PerformerInnen konstituiert, die sich mit grosser Ernsthaftigkeit dem Re-doing im Namen des Vergnügens widmet und dieses einem Un-doing vorzieht.

Geschichte ist ein permanenter Prozess des Erinnerns, Aufbrechens, Einordnens und Abwägens - ein Wunsch. Geschichte ist jetzt: 23. November 2006, Paris. Ich erinnere mich an den 16.November 2006, Wien, Halle G....

...Frans Poelstra hält ein weisses Kissen auf die Knie von Virginie Roy-Nigl, woraufhin diese, lachend, niederkniet. Ihr Körper schmilzt - auf den sensuellen Impuls hin - (in Richtung Kissen) zu Boden. „Here comes the sun", singt es vom Plattenteller, den Fritz Ostermayer belegt. Auch wenn er das Lied hasst, wie er nach der Performance erklärt - schliesslich  wurde es ja auch 1970 eingespielt... Doch die Musik ändert sich, und das ist das Zeichen für eine Unisono-Choreographie. Alle neun PerformerInnen schnappen sich je einen Sessel und tanzen damit einen kurzen, verrückten und verspielten Pas dedeux.

Rückblende 1 / Zurück zum Anfang des Stücks: Xavier Le Roy kündigt eine Dokumentation an, eine Reaktivierung der Performance „Continuous Project – Altered Daily" von Yvonne Rainer, die 1970 in New York (im Whitney Museum of American Art) uraufgeführt wurde. Es handelt sich um ein Stück, das den performativen Möglichkeitsspielraum der Tanz-Performance radikal erweiterte. PerformerInnen, die auf der Bühne nicht ihre technischen Fertigkeiten, sondern ihren Spass und ihr Vergnügen beim Improvisieren und Experimentieren zur Schau stellen, unterlagen bis dahin einem Bühnen-Tabu. Diese Art des Vergnügens war dem inoffiziellen Rahmen einer Probe vorbehalten.

Rückblende 2 / Zurück zu einem anderen Anfang: „Continuous Project – Altered Daily" ist in die Performance-Geschichte eingegangen beziehungsweise von dieser aufgegriffen worden, und im Lauf der Zeit wurde es von eben dieser, sich fortwährend neu konstituierenden Geschichte rekonventionalisiert. Wir sind vor allem Zeugen eines Rekonventionalisierungsprozesses, und es zeigt sich, wie schnell unsere Rezeptionsbrillen und die ihnen eingeschriebenen Erwartungshaltungen sich verändern beziehungsweise sich mit dem Sichtbaren arrangieren. So erzeugen lachende Menschen, die in Sneakers auf der Bühne tanzen und zu Popmusik aufeinander umherrollen, aus der Perspektive von heute einen stärkeren Wieder- als Widereffekt.

Rückblende 3 / Zurück zu einem Neuanfang: Ein Kollektiv internationaler KünstlerInnen (Alain Buffard, Krõõt Juurak, Latifa Laâbissi, Xavier Le Roy, Fritz Ostermayer, Frans Poelstra, Yvonne Rainer, Virginie Roy-Nigl, Eszter Salamon, Christophe Wavelet) hat sich für eine Reaktivierung von „Continuous Project – Altered Daily" und deren Vergnügens(mehr)wert für die PerformerInnen, sowie für eine Verknüpfung der offenen Struktur des Stücks mit projizierten dokumentarischen Einwürfen entschieden: Nicht nur Fotos und Videodokumente der Uraufführung, sondern auch anderer Projekte Yvonne Rainers werden auf eine Leinwand projiziert. Was auf der Bühne passiert, spielt sich also tatsächlich vor dem virtuellen Hintergrund der Geschichte ab.

Zwischenschnitt: Lachen auf der Bühne - damals und heute. Ist es möglich, eine Geschichte des Lachens zu schreiben? Insbesondere über das Lachen auf der Bühne? (Wieviel hat das Lachen von Jennifer Lacey am 16. 11. 2006 mit dem Lachen von Yvonne Rainer im Jahr 1970 zu tun?)

Zurück zur Rückblende: Radikalität ist zeitlich bedingt. Doch „Continuous Project – Altered Daily" hat sein radikales Potenzial nicht verloren: Dieses liegt in der offenen Struktur des Projektes, auf die schon sein Name hinweist, der auch in der Rekonstruktion beibehalten wurde: „Continuous Project – Altered Daily" steht für ein kontinuierliches Projekt der Veränderung. Abseits der Befriedigung tanzhistorischen Interesses ermöglicht uns dieser Abend eine Wahrnehmung von Kontinuitäten und Brüchen. Eine Dokumentation dessen, was sich ständig transformiert, bleibt eine Herausforderung.

 

-- 2/5 -- 

 
SHARON HAYES: DIE KÜNSTLERIN ALS RE-AKTIVISTIN

Von Rita Eck


Rhythmisch getaktet wechseln die an die lange Wand der Mumok factory geworfenen Bilder. Wir befinden uns im Untergrund, nahe den Fundamenten, auf Ebene 1. Denn Ebene 4 ist hier bereits das Erdgeschoß. Hier ins Dunkle der Diainstallation, der Vortrag wird erst später kommen, hat Sharon Hayes die Bilder aus der Stadt gebracht, die andere von ihr, von der Stadt und von Hayes, aufgenommen haben. Es ist ein faszinierendes Unbehagen, das von dieser Arbeit ausgeht. Es ist der Charme einer Geste, die gleichzeitig zu viele und zu wenige Adressaten zu haben scheint und nie genug am richtigen Ort. Im öffentlichen Raum, in dem diese Arbeit sich vollzogen hat, war das Publikum, das sich als solches bewusst einstellte, gering. Die breite Öffentlichkeit lief je nach Ort mehr oder weniger vorbei.

An sieben Orten war Sharon Hayes zu Gange: am 8. November am Anfang Prater Allee/Praterstern, am 9. November am Heldenplatz/Ballhausplatz, am 10. November vor dem Haupteingang des ORF am Küniglberg, am 11. November am Stephansplatz/Ecke Graben, am 12. November im Stadtpark beim Johann Strauss-Denkmal, am 13. November bei der Wiener Universität/Haupteingang Schottentor, am 14. November am Westbahnhof/Haupteingang. Jeder Tag ein Ort. Jeder Ort eine Stunde. Jede Stunde die Bewegung des Hin und Her, des Auf und Ab Gehens. Jedes Gehen die Veröffentlichung eines hochgehaltenen Schildes mit einer historischen Demonstrationsparole. Jede Parole eine Vergegenwärtigung im Akt des Hochhaltens durch die Hände der Künstlerin. Jedes Ereignis ein wahrnehmendes Zusammenführen von künstlerischer Aktion und politischer Demonstration, von künstlerischer Demonstration und politischer Aktion. Jede Manifestation ein Zitat.

Figur des Protests 

Alle gewählten Orte ergeben die urbane Topographie der Eine-Person-Demonstrationen. Das Kunstpublikum war eingeladen, aufgefordert, sich mit eigener Kamera einzufinden. Das Mumok steuerte die Diafilme bei. Aus der Dokumentation entsteht das Ereignis. Jeder Ort hatte seine demonstrative temporäre Schildeinschreibung wie „AKW Nein" oder „Wir haben ein Recht auf Freiheit" oder „Sozialdemokratie heute morgen in der AU gestorben" oder „Wir wollen nicht mehr Menschen zweiter Klasse sein". Sharon Hayes ist nah am ursprünglichen Wortverständnis des Wortes „Re-Enactment", historisch vergangene Ereignisse nachzustellen, gegenwärtig zu verkörpern.

Mit ihrem Körper aktiviert sie die Figur des Protests. Worte und Orte treffen bei Demonstrationen in der Figur der Protestierenden aufeinander, die flüchtig den urbanen Ort und das Ziel der gesellschaftlichen Veränderung, der Anklage, der Kritik wörtlich aufeinander treffen läßt. Demonstrationen führen etwas im Schilde. Doch vom ursprünglichen Verständnis des Re-Enactment sind die Aktionen auch mindestens genau so weit entfernt wie sie nahe sind. Denn, die Orte und die Worte, die gewählt wurden, aus dem Plan der Stadt, aus dem Fundus der historischen Überlieferung, sie haben keine gemeinsame Geschichte. Sie werden gefügt, durch Hayes.

Faszination eines Unbehagens 

Pro Ort standen acht Diafilme zur Verfügung. Die implizite politische Natur von Aktionsraum und Wortwahl schimmert durch die ästhetische Aneignung. Es geht um die Differenzen. Es geht um die Analogien. Es geht um die Aneignungen und Veröffentlichungen. Ist es ein Streik? Ist es ein Boykott? Ist es eine Demonstration? Ist es eine Kundgebung? Ist es eine Performance?

Während das altertümliche und eigenartigerweise den Ohren immer noch so vertraute Klack-Klack der Diakarussels die von den Kunst-DokumentaristInnen erstellten fotografischen Zeugnisse begleitet und als Dauergeräusch im Raum ausbreitet, sind die BetrachterInnen in angeregte Gespräche vertieft. Nicht Diavortrag, sondern Diagespräch. Die Gespräche hören sich angeregt an. Wortfetzen dringen ans Ohr. Woher kommen eigentlich die Sprüche? An diesen kann ich mich sogar noch erinnern. Wer hat die Fotos gemacht? Warst du eigentlich dort? Wer hat die Zitate recherchiert? Manche wenden sich von den Bildern ab, greifen zu den ausgedruckten Saalzetteln.

Es ist die Faszination eines Unbehagens, der Charme einer Geste, die gleichzeitig zu viele und zu wenige Adressaten zu haben scheint. Geste ist nicht Handeln, so Giorgio Agamben, nicht Hervorbringung. Geste ist Übernehmen und Tragen, so Agamben. Also, übernehmen Sie. Also, übernehmen wir. Aber was übernehmen wir? Die Wahrnehmung, die Dokumentation, die Interpretation, die Verantwortung... Der diskursiven Stärke des Projekts, der Strahlkraft der Idee entspricht eine eigentümliche formale Hohlheit. Diese Ausgehöhltheit der Form ergibt sich aus der Auslassung des eigentlich Spannenden, der performativen Lücke, die sich im Dokumentieren auftut. Denn das, was sich öffentlich vollzieht, die Erfahrungen, die Auseinandersetzungen, die Blicke, die Begegnungen, die Beziehungen zwischen dem Raum, dem Körper der Künstlerin, den Körpern der Passers-By, sie lassen sich eben gerade nicht aufzeichnen, nicht bannen. „Never Forgetting" oder „AKW Nein" oder, oder, oder. Es ist nicht ein verbindendes UND, das sich zwischen den Orten und den Worten, den Orten und den Orten, den Worten und den Worten herstellt, sondern ein unverbindlich austauschbares Oder.

Die Quelle zitiert sich zeitlos 

Die Arbeit hat ihre Serie eingeschrieben. Man könnte immer weiter protestieren, an vielen Orten, mit vielen Zitaten vergangener Demonstrationen. Das UND produziert sich nicht. Diese aus dem Fundus der Vergangenheit geborgenen öffentlichen Aussagen von Demonstrationen, das von Kuratorin Barbara Clausen recherchierte Material, das sich immer seiner eigenen Wirkung in einem Jetzt bewusst war und über seine wirkende Vergänglichkeit nie zu reflektieren genötigt war, wird re-aktiviert und auf eine nahe Zukunft, die in immer weitere Ferne zu rücken scheint, projiziert. Das Quellenmaterial wird verschwiegen, darf im Original auch während des Vortrags der Kunsthistorikerin und Kritikerin Johanna Burton nicht zur Erscheinung gebracht werden. Re-Enactment ohne Original! Die Quelle zitiert sich zeitlos. Die Künstlerin betätigt sich als Re-Aktivistin. Ist die Verbindung zwischen politischen An-Sprüchen und ebensolchen ästhetischen spezifisch oder beliebig?

Je länger die Dias an die Wand klicken, die Worte der Kunsthistorikerin Burton an die Stelle des Klickens treten, desto mehr drängt sich die Reproduzierbarkeit der Arbeit auf. Liegt darin die ökonomische Stärke? An jedem Ort der Welt ließen sich solche Aktionen durchführen, von Paris bis Peking. Nachteil, Vorteil oder eben gerade Ausdruck eines Status quo der Notwendigkeit nach kunstinstitutionell nachfragbaren, reproduzierbaren, von Ort zu Ort übertragbaren Aktionen, die dann an jedem Ort ihren scheinbar spezifischen Anspruch hervorbringen. Das Verschiffen der Praktiken als Ausdruck der produzierenden Gegenwart. Der Anspruch der Site-Specificity wird nicht erhoben, Site-Seeing und Sight-Seeing vermischen sich. Die Lesbarkeit von Kritik ist in ihrer Fraglichkeit, ihrer Fragwürdigkeit in die Aktion eingeschrieben. Gerade darin liegt ihre Ambiguität.

Hybride ohne Fluidität 

Die Möglichkeiten künstlerischen Produzierens drangen auch bei der auf „AG Indexical, with a little help from H.M." folgenden Podiumsdiskussion virulent an die Oberfläche. Plötzlich waren alle mehr und mehr im New York der 60er Jahre denn im Hier und Jetzt. Die verschwundenen Möglichkeiten eines Ortes wie des von Künstlern und Künstlerinnen initiierten Judson Dance Theater in der Judson Memorial Church trafen auf die gegebenen Bedingungen des Heute. Yvonne bezahlt meinen Körper stundenweise, meldete sich eine der Tänzerinnen Rainers zu Wort. Der Agon geht in ganz anderer Weise weiter. Agon: Wettkampf, Kampf, Anstrengung, so steht es im „Gemoll", dem griechisch-deutschen Schul- und Handwörterbuch. Tom Burr vermisst die Fluidität, die die Sparten der Kunstdisziplinen überschreitende Begegnung, zwischen KünstlerInnen, zwischen Publika. Das trifft sich auch mit Sharon Hayes' Erfahrung einer Verweigerung, weiter im herkömmlichen Sinne Performancekünstlerin zu sein, das Performative in den bildenden Kunstkontext einzugemeinden, es dort anzusiedeln.

Die Disziplinen sind in sich hybridisiert, multiformal geworden. Zugleich sind die Grenzen zwischen den Kunstmarktsegmenten klar gezogen. Das ist Performance und ihr Publikum. Das ist Installation und ihr Publikum. Das ist keine Fluidität der Begegnungen. Und genau hier liegt auch der wunde, der springende Punkt des Re-Enactment. Denn die Bedingungen der Möglichkeiten von Produktion lassen sich nicht re-installieren. Judson Dance Theater ist eine Erinnerung. Das Heute mit seinen ökonomisierten globalen Produktionsbedingunen trifft auf eine Vergangenheit der ästhetischen Ansprüche, die auch in der nahen Zukunft noch für viele Spannungsmomente sorgen werden.

In die urbane Choreografie stellt sich mit Hayes und ihren Schildern ein Störfaktor ein, ein visueller beweglicher Attraktor. Die uneingelösten Utopien des Vergangenen werden in den veränderten metropolitanen und kunstmarktgeregelten Produktionsformaten re-visited. In diesem Besuch liegen die Fragen, denen wir uns heute anders stellen müssen. Von den Reaktionen auf die Aktion bleiben die DiabetrachterInnen unbehelligt. Der öffentliche Raum, als diskursive Praxis, ist aus der Dokumentation verschwunden. Der diskursive Überschuss lässt sich formal nicht einholen. Wir stehen dort, wo wir sind. Auch in der nahen Zukunft. Das gibt zu denken.

 

-- 3/5 -- 

 

"CP–AD" IST AKTUELL? BEWEISE BITTE!

Von Judith Helmer


Man glaubte sich fast in eine Stunde heiterer Bewegungstherapie verirrt zu haben, als am 16. November 2006 eine Gruppe von zehn teils sehr prominenten internationalen Künstlern ihre Version von Yvonne Rainers 1970 entstandenem „Continuous Project – Altered Daily" im Museumsquartier ausführten. „Dokumentarisch" sollte es sein, erklärte im Publikumsgespräch der Kritiker, Kurator und Performer Christophe Wavelet, der gemeinsam mit Xavier Le Roy hinter dem Projekt stand. Gerade in Kontext der „wieder und wider"-Reihe, in der zuvor die verschiedensten Zugänge zur lebendigen Dokumentation älterer Stücke oft sehr reflektiert und manchmal herrlich gewitzt vorgeführt worden waren, wirkte diese Aussage nach dem gerade erlebten „CP–AD" - wie Insider abkürzen - geradezu bestürzend naiv. Was war da passiert?

In offener Struktur wurden interaktive Gruppenspiele, von Fritz Ostermayer mit musikalischen Evergreens aus dem Jahr 1970 unterlegt, aneinander gereiht. Die Gruppe der Performer setzte sich aus in Wien ansässigen Künstlern („weil es weniger Geld kostete, als mit Leuten von auswärts zu arbeiten", so die lakonische Erklärung), den künstlerischen Koordinatoren Le Roy und Wavelet sowie prominenten Gästen zusammen. In nur drei Tagen hatten die Koordinatoren die sehr inhomogene Gruppe in den Spielstrukturen unterwiesen, ohne über die bloße Ausführbarkeit hinauszugelangen. Als Special Guest war Yvonne Rainer selbst anwesend und in die Ausführung ihrer Aktionen involviert. Ihre Mit-Spieler schienen sie hochachtungsvoll mit Samthandschuhen anzufassen und so zur lebenden Legende zu stilisieren. Ein Videobeamer warf dazu noch Aufnahmen von Aufführungen aus den Seventies sowie nachträglich hinzugestellte Theorietexte auf Leinwand und Kartonburgen, ohne dass sich dadurch eine irgendwie aussagekräftige Dramaturgie ergeben hätte.

Kuschelweiche Spiele

Vielleicht lag es an den Produktionsbedingungen, vielleicht war es gewollte Versuchsanordnung, um den improvisatorischen Charakter (den es laut Rainer 1970 nicht gegeben hatte) zu unterstreichen: alles in allem wirkte „CP–AD" einfach zu wenig gearbeitet. Rainers damals erdachte Bewegungsspiele, die oft auf das Vertrauen des Einzelnen in seine Partner in der Gruppe hinauslaufen, mögen damals provokant und politisch gewesen sein - heute sind sie es nicht mehr. Das sahen die Initiatoren offenbar anders, denn im „wieder und wider"-Folder heißt es in der Stückbeschreibung: „Das Projekt operiert mit heute noch politisch und ästhetisch hochaktuellen Elementen wie Alltagsbewegungen, Gesten, Manipulationen von Objekten, choreografischen Zitaten, Ereignis und Atmosphäre." Davon war wenig zu spüren. Stattdessen wirken alle diese Spiele kuschelweich und eben therapeutisch für die Mitwirkenden. Die Zuschauer blieben dabei unbeteiligte Zaungäste, an die sich diese Spiele nicht vordringlich zu richten schienen. Befragt nach den Intentionen, „CP–AD" wieder zu beleben, sprach das Team dann auch vor allem von der Lust an der Ausführung der Sequenzen.

Das hätte dem einen oder anderen Zuschauer vielleicht auch gefallen: gerne hätte man sich der permanent fröhlich lächelnden Gruppe angeschlossen, sich selber in die weichen Kissen plumpsen oder von vielen Händen tragen lassen, man wäre gerne selber auf Zuruf verlässlich aufgefangen worden. Das wäre dann ein netter Abend gewesen - einen Einblick in die historische Bedeutung, die Rainers Arbeit hat, hätte man wohl genauso wenig bekommen wie in der vorgeführten Version. Wer behauptet, eine Arbeit von 1970 sei heute noch „politisch und ästhetisch hochaktuell", der muss diesen Beweis dann auch bitte antreten. Wie man geschickt Fäden aus der Vergangenheit in die Gegenwart legen kann, haben bei „wieder und wider“ andere gezeigt - hier wurde es nicht einmal versucht.

 

-- 4/5 -- 

 
PINK  AGON

Ich heiße Inspektor Clouseau.
Ich folge einer Spur.
Ein persönliches Netzwerk vorgestellt als Parade.
*Dr. Faustroll
*L.H.O.O.Q.
*Die Rückkehr der Flamme
*Variations VIII
*Take the index finger of your right hand, put it on a thick material and scratch (for H.P.)
Also: Fangen wir an.
Der Begriff Agon (griechisch: „Αγων": „Kampf", „Wettstreit") bezeichnet:
    ▪     in der griechischen Antike einen sportlichen oder musischen Wettstreit
    ▪     in der attischen Komödie und Tragödie den Hauptteil, bestehend aus Rede und Gegenrede
    ▪     in der Kartographie eine Linie auf Landkarten, welche die Orte verbindet, deren magnetische Deklination gleich Null ist
    ▪     ein Ballett für zwölf Tänzer von Igor Strawinsky
(Quelle: Wikipedia, 23.11.2006)
In AG INDEXICAL, with a little help from H. M. (gezeigt am 18. 11. 2006 im Tanzquartier Wien/Halle G;) würdigt, analysiert und parodiert sie (Yvonne Rainer) den Neoballettklassiker Agon (1957) von George Balanchine (mit der Musik von Igor Strawinsky).
AG im Titel steht für Agon hinter dem Kürzel H. M. verbirgt sich der US-Komponist Henry Mancini, der u.a. für seine Filmmusik zu Pink Panther berühmt wurde.
So steht es im Programmheft zur Aufführung.
Ja. Yvonne Rainer setzt tatsächlich in ihrer halbstündigen Aneignung die markante Titelmusik zum ersten Pink Panther-Film als letztes Musikstück ein. Die Erkennungsmelodie von Mancini begleitet dabei die Bewegungen der 4 Tänzerinnen rhythmisch. Im Takt. Auf den Schlag gesetzt. So wie die gesamte Choreographie zuvor zur Musik von Strawinsky. Wie im Original. Um mich klar auszudrücken:  Balanchine wird durch Rainer angekritzelt. Strawinsky durch Mancini überkritzelt und kann ausgetauscht werden. Und das transformierte Werk kann damit zum Überläufer werden. Aus den 12 Tänzern (acht Tänzerinnen und vier Tänzern) werden 4 Tänzerinnen: Mann wird gegen Frau eingetauscht. So klare Gegnerschaft wie Avantgarde gegen Neoklassizismus/John Cage gegen Igor Strawinsky läßt sie im Mülleimer der Geschichte. Sie setzt einen Wettstreit als Plussummenspiel fort. Wie der eingezeichnete Schnurr- und Spitzbart auf einer Reproduktion von Leonardos Mona Lisa in Marcel Duchamps Ready-Made L.H.O.O.Q. (1919) verhält sich der Pink-Panther-Song in AG INDEXICAL: Das Werk ist ein Index, eine Fußnote und wird ein kluger Kommentar zur Tanz- und Performancegeschichte des 20. Jahrhunderts. Mit ihren Kämpfen und ihrem Gelächter. Sei der Rosarote Panther.

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Bonustrack:

Die Pink Panther Filme von Blake Edwards:

    ▪     1963 - Der Rosarote Panther (The Pink Panther)
    ▪     1964 - Ein Schuss im Dunkeln (A Shot in the Dark)
    ▪     1975 - Der rosarote Panther kehrt zurück (The Return of the Pink Panther)
    ▪     1976 - Inspektor Clouseau, der beste Mann bei Interpol (The Pink Panther Strikes Again)
    ▪     1978 - Inspektor Clouseau - Der irre Flic mit dem heißen Blick (Revenge of the Pink Panther)
    ▪     1982 - Der rosarote Panther wird gejagt (Trail of the Pink Panther)
    ▪     1983 - Der Fluch des rosaroten Panthers (Curse of the Pink Panther)
    ▪     1993 - Der Sohn des rosaroten Panthers (The Son of the Pink Panther)

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Der Rosarote Panther und das Zeichenprogramm.

Wer oder was ist der Rosarote Panther? Die Legende besagt: Wer den Rosaroten Panther, einen unsagbar wertvollen Diamanten, gegen das Licht hält, nimmt ganz flüchtig die Konturen einer rosa Raubkatze wahr. Ursprüglich für die Titelsequenz von Blake Edwards Krimikomödie "The Pink Panther"/1963 von Friz Freleng und Hawley Pratt geschaffen, erhielt dieser Charakter mit der kongenialen unverkennbaren Musik von Henry Mancini unmittelbar eine breite Aufmerksamkeit und eigenständige Zeichentrickfilme folgten. Damit war eine der coolsten Zeichentrickfiguren der Filmindustrie geboren. Klug in Humor. Anarchistisch in den farbigen Abenteuern. Liebenswert durch seine gestylte Erscheinung. Eine Pop-Ikone.

album

 

 

 

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Der Rosarote Panther und der Pop-Star.


Der Rosarote Panther als Paulchen Panther
Reime von Eberhard Storeck

Wer hat an der Uhr gedreht?
Ist es wirklich schon so spät?
Soll das heißen, ja ihr Leut
Mit dem Paul ist Schluss für heut!
Paulchen Paulchen mach doch weiter
Jag' das Männchen auf die Leiter
Säg' und pinsle bunt die Wände
Treibe Scherze ohne Ende
Machst ja manchmal schlimme Sachen
Über die wir trotzdem lachen
Denn du bist, wir kennen dich,
Doch nur Farb und Pinselstrich.
Wer hat an der Uhr gedreht?
Ist es wirklich schon so spät?
Schade, dass es sein muss
Ist für heute wirklich Schluss???

Heute ist nicht alle Tage,
Ich komm wieder, keine Frage


Doch für heut ist wirklich Schluss!!

 

-- 5/5 --

 
BEING YVONNE RAINER

Eine Beobachtung von Fred Arctor


-- In Steven Kings Romanzyklus „Der dunkle Turm“ gibt es Türen, die in Köpfe von Menschen führen, und wer diese Türen durchschreitet, kann die Handlungen der so Betretenen beeinflussen. -- Der Puppenspieler Craig Schwarz entdeckt in Spike Jonzes Film „Being John Malkovich" einen Tunnel, der geradewegs ins Innere des Schauspielers führt. Er besetzt dessen Körper und lenkt Malkovich, der nun als er selbst Schwartz spielen muß. -- Ein Dämon schlüpft in den Körper eines kleinen Mädchens namens Regan und spielt mit ihm, als wäre er eine Marionette. In William Friedkins Film erhält ein „Exorzist" die Aufgabe, Regan zu befreien. --

Die Idee des Besessenseins ist eine Ausgeburt des Wunsches nach einem Überschreiben von Texten, die die Wirklichkeit formulieren, oder, wie bei Steven King, nach einer Korrektur der Geschichte. Diesseits der Fiction hilft dieses Wünschen. Hier gilt: Alle Geschichtsschreibung bedeutet bereits ein Umschreiben der Geschichte. Denn immer wieder muß ein Vertrag mit der Erinnerung unterzeichnet werden, die Gewesenes entweder löscht oder verändert. Um, im zweiten Fall, dem das Fortan vorstrukturierenden Gewesenen möglichst nahe zu kommen, muß ein Ereignis in einen es repräsentierenden Text übersetzt werden. In diesem wird ein Ereignis Geschichte, die in bestimmten medialen Zusammenhängen wieder in ein Ereignis rückübersetzt werden kann. Ein Geschichtsschreiber besetzt also nicht die Geschichte, sondern die Schnittstellen der Übersetzung. Ein Geschichtsfälscher übersetzt nicht, er ersetzt den ein Ereignis repräsentierenden Text an jener Stelle, wo die Übersetzung stattfinden sollte.

Beobachter im Jedermannsanzug

Die Auflösung der Grenzen zwischen Geschichtsschreibung und Geschichtsfälschung ist ein Produkt der postmodernen Lesemaschinen, deren Sprachspiele - hier in Anspielung auf Jean-François Lyotard - die historischen Erzählungen in den Normen des Heute anzupassen suchen. Dabei geht es um Besetzungen und um Besessenheit. Und nicht um Übersetzung und Befreiung von stratifiziertem Wissen aus den Sedimenten der Vergangenheit. So gesehen ist auch die „Revitalisierung" von Yvonne Rainers „Continuous Project – Altered Daily", uraufgeführt im New Yorker Whitney Museum (31. März bis 2. April 1970) ein politischer Akt.

Jeder Geschichtsschreiber ist ein Jedermann, der wider besseren Wissens versucht, sich selbst mitzubeobachten mit dem geheimen Drang, diese Selbstbeobachtung zu übersehen. Der französische Tanztheoretiker Christophe Wavelet, der zusammen mit Xavier Le Roy für die Wiederbelebung der Arbeit von Rainer verantwortlich ist, schaffte es, diesem Drang zu widerstehen. Bei „wieder und wider" zeigten er und eine Gruppe von „Co-Übersetzern" das Stück als, wie in einer kleinen Einleitung zu erfahren war, Dokumentation. Mit der Gruppe Le Quatuor Albrecht Knust, der auch Dominique Brun, Anne Collod und Simon Hecquet angehörten, hatte Wavelet mit Rainer „Continuous Project - Altered Daily" 1996 neu in Szene gesetzt. Auch dieser geschichtliche Aspekt sollte sichtbar gemacht werden.

Die Aufführungen von Le Quatuor Albrecht Knust waren allerdings nicht nur bis 2000 zu erleben, wie Wavelet nun in Wien behauptete, sondern zumindest bis zum 25. September 2001. Am Abend dieses Tages gab es ein, wie es damals hieß, „Re-Reading" von „Continuous Project - Altered Daily" im Rahmen des FIND-Festivals in Montreal. Die Darsteller vor fünf Jahren waren Collod, Hecquet und Wavelet selbst, weiters Dominique Brun, Martha Moore, Alain Buffard, Matthieu Doze, Xavier Le Roy und Emmanuelle Huynh. In dieser kleinen an sich unbedeutenden Geschichtslücke des Dokumentaristen bewegt sich symbolisch das gesamte Projekt.

Gemischte Gefühle 

Anders als 2001 in Montreal war Rainer in der Wiener „Appropriation" am 16. November 2006 als Zeugin auf der Bühne. Die Autorin des Stücks beobachtete also ihren Beobachter, den Autor einer Dokumentation über ihr Werk. Die Schreiberin der Geschichte und der Geschichtsschreiber befanden sich in einer Arena. „Christophe", rief Rainer während eines Publikumsgesprächs zwei Tage später ins Auditorium, wo sie Wavelet vermutete, „what's doing ,Trio A‘ in there?" Sie meinte die Projektion von Filmdokumenten eines ganz anderen ihrer Stücke, „Trio A", bei „Continuous Project – Altered Daily" in Wien. Wieder eine an sich unwichtige Lücke. Wavelet hatte den Publikumsraum verlassen. Und Xavier Le Roy wollte nichts zu dieser Frage sagen.

Rainer hatte zart gemischte Gefühle gegenüber der Art der Aneignung dieses Werks. Ihr „Continuous Project – Altered Daily" sei allerdings, sagte sie, immer unvollendet gewesen, „but the older I get the more dictatorial I get about the details of ,Trio A‘." Damit sind sehr spezifische Fragen von Re-Enactments angesprochen: Wann verliert sich die Brisanz eines wiederbelebten Performancewerks mit dem Gebrauch von Mitteln, die ursprünglich nicht vorgesehen waren? Und zweitens: Wie wird der Geschichtsschreiber über den Akt seiner Selbst-Einschreibung in ein - wenn auch „dokumentarisch" genanntes - Wiederlesen, das als Performance inszeniert ist, zum Geschichtsfälscher?

Die Beobachtete blickte ihrem Beobachter als Beobachterin und Beteiligte kritisch über die Schulter. Diese besondere Situation erst machte das Wiener Projekt von „Continuous Project – Altered Daily" zu einem Schlüsselprojekt der Reihe „wieder und wider". Alle Beteiligten wollten wissen: Wie performt ein Werk als wiederbelebtes Ereignis heute in einem Kontext, den es vor 36 Jahren mit geprägt hat? Ist der Fall von damals heute immer noch „heiß"? Entscheidende Indizien liefert dazu Xavier Le Roy, wenn er berichtet, daß er, als er das Werk von Rainer studierte, alles darin enthalten fand, was er als Künstler vorhatte zu tun. Nun war aber die Wirkung von Le Roys Stücken nicht unerheblich an der Aufbereitung eines neuen Rezeptionsfeldes beteiligt, in das sich „Continuous Project - Altered Daily" nun verstärkend einfügt.

Ballerina in Sneakers

Um die Frage nach dessen Aktualität beantworten zu können, sollte eine zweite Performance, die zum Abschluß von „wieder und wider" gezeigt wurde, untersucht werden: Yvonne Rainers neue Arbeit „AG Indexical, with a little help from H.M." (2005). Das Stück ist seinerseits die Bearbeitung eines tanzhistorischen Stoffs, nämlich des Balletts „Agon" von George Balanchine - aus jenem Jahr 1957, in dem Rainer in New York zu tanzen begonnen hatte. Wie vor ihr schon Raimund Hoghe in seinen „Tanzgeschichten" (2003) und Jérôme Bel in „Véronique Doisneau" (2004), arbeitet auch Rainer mit dem Hervorheben einer einzelnen Ballerina (Emily Coates). Bei Balanchines Choreografie geht es nicht um eine Erzählung, sondern ausschließlich um die Umsetzung einer tänzerischen Bewegungskomposition, so wie Strawinskys Musik eine für sich selbst stehende Konstruktion ist. „Wenn die Konstruktion vorhanden und die Ordnung erreicht ist", schreibt Strawinsky, „ist alles gesagt."

Yvonne Rainer tut etwas, das diesen „Konstruktivismus“ bricht. Sie implantiert Strawinskys ikonischem Programm ein anderes aus der Popkultur: das „Pink Panther"-Thema von Henry Mancini. Darüber hinaus nimmt sie die stilisierte Trainingskleidung bei „Agon" wörtlich. Ihre vier Tänzerinnen schauen sich das Bewegungsprogramm auf der Bühne zum Teil von einer Videoaufnahme ab. Sie unterbricht den „Agon" (griechisch für „Wettkampf") in der Mitte, um in die Abstraktion des Tanzes eine Indexikalität im soziologischen Sinn einzuführen. Ihre Tänzerinnen bewegen sich im Gegensatz zu jenen von Balanchine unter den einfachen indexikalischen Vorgaben „ich", „jetzt" und „hier". Die Analogie zu Bels Ballerinensolo ist, obwohl Rainer nach eigenen Angaben nie eine Arbeit des französischen Konzeptualisten gesehen hat, offensichtlich. Emily Coates legt ihre Spitzenschuhe etwa in der Hälfte der nur halbstündigen Arbeit ab und verwandelt sich in eine „Terpsichore in Sneakers".

Balanchines neoklassizistisches Werk deutet auf den Wendepunkt des Modernismus bei Cunningham hin, der von John Cage in die Postmoderne hinübergezogen wurde, die ihre Frühzeit bereits in Dada und Fluxus erlebt hatte. Dada und Fluxus wiederum ermöglichten das Judson Dance Theater, in dem Rainer entwickelte, was in „Continuous Project - Altered Daily" sichtbar wird. Bei „AG Indexical" sind nun Linien der Postmoderne zu erkennen, die gerne übersehen werden. Nämlich jene, die auf Normierungen in der Denormierung hinführen, die also Teile eines Spiels sind, das in der Destabilisierung Gleichgewichte errichtet. „AG Indexical" ist in diesem Sinn so balanciert wie etwa Le Roys Solo „Self Unfinished" oder Jérôme Bels frühes Werk „Nom donné par l'auteur". Im Gegensatz zu den Performanceströmungen im Tanz, die aus der Kontaktimprovisation generiert wurden, haben Künstler wie Bel, Hoghe oder Le Roy den Stempel des Konzeptualismus erhalten - aufgrund ihrer strukturellen Balanciertheit und formalen Geschlossenheit.

Ein Akt der Besetzung

Steve Paxton und Yvonne Rainer repräsentieren zwei Stränge einer Entwicklung, wobei Rainer gerne mit einer gewissen Striktheit arbeitete. Sie sagt selbst, daß ihre Arbeit sich von der Kontaktimprovisation unterscheidet, weil sie das Unerwartete darin nicht mochte. Sie habe kontrollierte Situationen bevorzugt. Und es ist auch schwer vorstellbar, daß Paxton je auf die Idee gekommen wäre, sich mit Balanchine auseinanderzusetzen. Die Differenz der Ansätze, die sich aus dem Judson Dance Theater entwickelten, wird im Bestreben nach einer Generalisierung dieses Phänomens gerne unterschätzt. Und genau in diesem Punkt, nämlich der Beobachtung des Beobachteten, liegt die Aktualität der Bezüge zwischen „Continuous Project – Altered Daily" und „AG Indexical" für die Gegenwart. Wavelet hat gegensätzliche Ansätze vermischt. Er versuchte, Rainer über Paxton zu lesen, was aufgrund der Unvollendetheit von „Continuous Project – Altered Daily" nachvollziehbar ist. Aber gerade in der Fehlinterpretation dieser Unvollendetheit liegt der Grund dafür, daß die Wiener Aufführung zu einem Akt der Besetzung geworden ist.

Wavelets „Being Yvonne Rainer" wird so zur Darstellung einer Lektüre und nicht der des Gelesenen. Die „Dokumentation" dokumentiert nur die Strategie einer Aneignung und nicht das Angeeignete. Rainer, die 2007 mit einer neuen Arbeit, „RoS indexical", auf der documenta zu Gast sein wird, hat ihrerseits einen wesentlich klareren Vorschlag gemacht, indem sie Balanchine offensiv einem „Revisiting" unterzieht. Zugleich klärt sich in der Verklammerung von „Continuous Project – Altered Daily" und „AG Indexical" die Position der Künstlerin. Das Original des ersteren, sagt sie, sei verloren. Im zweiteren versuche sie jedoch, das „Ideal der Rekonstruktion" fortzuführen: „The process always stops with the dance. I wish one would reconstruct it rather than revisiting it."

 

(26.11.2006)