Money kicked the women out

INTERVIEW: LACHEN ALS FRAGE DER MACHT – DER GENDER GAP IM SLAPSTICK

Von Lina Paulitsch

Das Wiener Künstlerınnen-Duo Sööt/Zeyringer widmet sich in seiner neuen Performance Running Gag dem weiblichen Slapstick: In dieser Arbeit, die bisher in Hamburg, in Salzburg und bei Brut Wien zu sehen war, werden Komikerinnen vorgestellt, die in der frühen Phase der Filmgeschichte Stars waren, nur: Heute kennt sie keiner mehr. Mit corpus sprechen Dorothea Zeyringer und Projektforscherin Emilia Lichtenwagner über Komik, Frauen und das Patriarchat  im Medium Film.

 

corpus: Die Performance Running Gag stellt Komikerinnen der frühen Filmgeschichte vor, die in Vergessenheit geraten sind. Woher kam das Interesse an diesem Thema?

 

Dorothea Zeyringer: Tiina Sööt und ich haben als Künstlerinnenduo häufig Kommentare von verschiedenen Leuten zu unserem Aussehen, unserem körperlichen Verhalten bekommen – nicht zum Inhalt unserer Performance. Und es gab immer ganz viel Rat, wie wir doch besser sein könnten. Wir haben uns gefragt, ob Männer genauso ständig für ihre Körperlichkeit kritisiert werden – denn das ist ja eigentlich eine sehr persönliche Kritik.
Außerdem wurde uns gesagt, dass unsere Arbeiten oft an Slapstick erinnern. Am Anfang wollten wir uns näher mit den Filmen von Charlie Chaplin und Buster Keaton auseinandersetzen. Bis wir gedacht haben, dass es doch auch Frauen in Slapstickkomödien geben muss, zumindest in Nebenrollen. So sind wir dann darauf gestoßen, dass sehr viele Frauen eigene Filme gemacht haben. Frauen, die einerseits Protagonistinnen in den Filmen waren und andere, die hinter der Kamera arbeiteten, im Produktionsteam etwa. Frauen, von denen die meisten von uns heute gar nichts wissen und die nicht in die heutige Populärkultur eintreten konnten, obwohl sie damals zum Mainstream gehört haben.

 

corpus: Heute wird auch im Filmgeschäft ein großer Gender-Gap festgestellt – es gibt viel weniger weibliche als männliche Regisseure. Wie war es möglich, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts so viele Frauen berufliche Erfolge im Film erreichten?

 

Emilia Lichtenwagner: Damals hing das mit der Neuartigkeit des Mediums Film zusammen. Als der Film Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde, war noch nicht klar, was davon bestehen bleiben wird, was sich daraus entwickeln kann. Ich denke, das Filmgeschäft war relativ offen, frei zugänglich. Dadurch war eine gewisse Experimentierfreudigkeit vorhanden,  man konnte Sachen einfach ausprobieren...

Zeyringer: ...und sich neu erfinden. Während es zum Beispiel im Theater historische Rollen gab, auf die man sich beziehen musste, haben Frauen sich ihre Rollen im Film selbst erfinden können – es gab noch keine festen Vorbilder, Verhaltensweisen, Gesten oder Vorschriften, wie man sein sollte.

 

corpus: Frauen hatten also beruflichen Zugang, als der Film noch in den Kinderschuhen steckte. Wann hat sich das dann geändert?

 

Lichtenwagner: Je professioneller die Filmproduktion wurde, desto weniger Frauen. Im Stück sagt Tiina Sööt: „Men started pushing women out of the business.“ Denn mit der Entstehung Hollywoods wurde der Film zu einem großen gewinnbringenden Business und somit zu einer Frage von Macht. Vor allem die Komikerinnen sind nach und nach verdrängt worden.

 

corpus: Der Film wurde während der Zehner und Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als politisches Medium für Werbung und Propaganda entdeckt. Gleichzeitig durften Frauen in diesen Jahren gerade zum ersten Mal wählen, wurden aber noch oft als apolitisch betrachtet. Besteht hier ein Zusammenhang zwischen Politisierung und Maskulinisierung der Filmindustrie?

 

Lichtenwagner: Ich glaube, dass wiederum der Grund für die Politisierung darin liegt, dass der Film kommerzieller wurde. Der Film war nicht länger ein Nischenmedium, sondern für verschiedene Zwecke nutzbar. Das Herausdrängen von Frauen liegt also in erster Linie daran, dass der Film an ökonomischer Bedeutung gewann.

 

corpus: Wurde der Film auch genutzt, um gezielt die politischen Anliegen von Frauen zu stärken?

 

Lichtenwagner: Einerseits von der Suffragetten-Bewegung, da wurden relativ viele halb dokumentarische, halb fiktive Filme gedreht und an verschiedenen Orten gezeigt.

Zeyringer: Andererseits wurden die humoristischen Filme dafür genutzt, sich über bestehende gesellschaftliche Strukturen lustig zu machen und sich gegen die bürgerlichen Konventionen aufzulehnen.

 

corpus: Es ist auffallend, dass es heutzutage wesentlich weniger berufstätige Kabarettistinnen gibt als männliche Kabarettisten. Sind Frauen weniger lustig?

 

Zeyringer: Es gibt so viele extrem lustige Komikerinnen! Nein, es geht um die Sichtbarkeit und darum, dass Frauen gefragt und gebucht werden. Im Kunstmarkt dominieren generell noch immer total unausgewogene Verhältnisse. Darüber sprechen wir ja auch im Stück. Das ist das eine. Das andere ist: Ich bin mit wenigen weiblichen Vorbildern von Komikerinnen aufgewachsen. Slapstick habe ich immer mit Chaplin oder Keaton assoziiert, weil ich mit deren Filmen konfrontiert war. Dabei sind Komikerinnen wie Sarah Duhamel oder Mabel Normand wahnsinnig witzig.

 

corpus: Das heißt, Männer werden als lustiger empfunden, weil wir immer nur Männer sehen, die diese Zuschreibung bekommen?

 

Zeyringer: Ja, das war für uns sehr interessant zu beobachten. Es braucht also weibliche Vorbilder. Aber die gibt es schon lange, und je sichtbarer sie werden, desto mehr ermutigt es andere Frauen, sich selbst als humorvoll wahrzunehmen und das auch als eigene Stärke zu sehen.
 
corpus: Mussten die Komikerinnen der Stummfilmära einen gewissen Geschlechtertyp bedienen, um als lustig empfunden zu werden?

 

Zeyringer: Nein, im Gegenteil: Es gab nicht die lustige Frau, sondern ganz verschiedene Typen. Das war für mich sehr befreiend zu sehen.

Lichtenwagner: Bei einem Filmausschnitt, der in der Performance gezeigt wurde – Rosalie et Léontine vont au théâtre von 1911 – sieht man zwei Frauen im Theater. So wie die beiden sich verhalten, ihre Gesten, das sieht man ganz selten – das war noch gar kein Typus. Sie machen einfach, was ihnen einfällt, zumindest wirkt es so. Damals war vieles möglich und man kann ihnen nicht irgendeine spezifisch „weibliche“ Rolle zuschreiben.

 

corpus: Eine historisch gleichbleibende Rolle bzw. Norm wäre ja zum Beispiel, dass Frauen das „schöne“, passive Geschlecht sind.

 

Lichtenwagner: Lachen ist oft eine Frage der Macht: Wer lacht über wen, wer darf über wen lachen. Oft lachen auch Frauen über Witze von Männern, um sie zu bestätigen, um zu gefallen und dazuzugehören.

Zeyringer: Es gibt aber auch heute sehr viele Frauen, die aus dieser Rolle ausbrechen und etwas nicht Schönes verkörpern wollen. Und ich finde es immer wichtig, junge Frauen zu ermutigen, sich einfach auf die Bühne zu stellen und lustig zu sein, wenn man dazu Lust hat. Keine Frau muss einer bestimmten Norm entsprechen und jeder steht eine Bühne zu.  Deshalb ist es mir so wichtig, selbst zu performen. Ich denke, dass viele Frauen oft sehr selbstkritisch sind und Angst haben, nicht lustig genug zu sein, und ich glaube, dass sich viele Männer diese Fragen überhaupt nicht stellen. Dass sie aber auch viel weniger kritisiert werden. Da hilft es, wenn sich Frauen solidarisieren: Durchs Aussprechen wird man die teils sehr persönliche Kritik auch wieder los.

Lichtenwagner: Das ist auch ein ziemlich politischer Aspekt des Stücks: Dass allein das Wissen über diese Vorgängerinnen die Gegenwart verändern kann – wie man sich selbst sehen, was man sich vorstellen, was man machen kann.


DVD-Tipp: Cento anni fa/A Hundred Years ago: Comic Actresses and Suffragettes 1910-1914. Tilly and Sally (Alma Taylor und Chrissie White), Cunégonde, Mistinguett, Rosalie, Lea and Gigetta, plus Newsreel Filme von Suffragette-Aktionen aus Großbritannien und den USA.

Erhältlich u.a. bei Satyr Filmwelt, Wien I., Marc-Aurel-Straße 5; Telefon +43-(0)1-535 53 26-0

 

Website Sööt/Zeyringer: https://sootzeyringer.wordpress.com/

 

(26.5.2018)