Neue Wiener Festwochen 2. Akt

ABSCHIED VON INTENDANT TOMAS ZIERHOFER-KIN UND VORAUSBLICK AUF SEINE NACHFOLGERIN

Von Helmut Ploebst

Rückschau: Wer das Wiener Kulturleben kennt, konnte nach der Kritik an den ersten Wiener Festwochen unter Tomas Zierhofer-Kin annehmen, dass sein Rücktritt nach der zweiten Ausgabe wahrscheinlich ist. Am 19. Juni 2018 war es soweit. Nachdem im Juni des Vorjahres seine beiden Co-Kuratorınnen, Nadine Jessen und Johannes Maile, gehen mussten, setzte sich in der Kulturszene die Ansicht durch, der Intendant als Hauptverantwortlicher hätte ebenfalls sofort den Hut nehmen müssen. Man kann beinahe sicher sein, dass Zierhofer-Kin daran gedacht hat. Möglicherweise wurde er sogar überredet, noch eine Ausgabe zu programmieren, um den für diese Personalie verantwortlich gewesenen damaligen Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny vor einer Blamage zu bewahren.

 

Mailath-Pokornys Personalentscheidungen waren oft nicht die glücklichsten, auch weil er – anders als nun Veronica Kaup-Hasler – nie wirklich verstanden hat, was in den unterschiedlichen Kunstfeldern vor sich geht. Mit Zierhofer-Kin wollte er die Wiener Festwochen hip und pop aussehen lassen, und der frisch gekürte Intendant selbst dachte nicht daran, sein Publikum schrittweise auf einen im Ansatz durchaus richtig gesetzten Kurs mitzunehmen. Er hätte bereit sein müssen, den diesem Kurs zugrundeliegenden Diskurs neu und kritisch aufzubereiten. Doch dazu war der von ihm eingerichtete „kuratorische runde Tisch“ nicht fähig, weil er von der demagogischen Form des postkolonialen Diskurses beherrscht wurde, in der die Idee der „Dekolonisierung“ wie ein Strafgericht betrieben wird.

 

Falsche Zeichen in einer beschädigten Gesellschaft

 

Für so etwas ist das Wiener kulturliberale Publikum der falsche Adressat. Und jenen, die bewusst fremdenfeindliche Ressentiments pflegen, fällt es nicht im Traum ein, sich von einem Festival bekehren zu lassen. Keine gute Idee war’s daher, die Festwochen-Besucherınnen etwa mit einer „Akademie des Verlernens“ schulmeistern zu wollen. Zu hoch ist heute die Dynamik der Manipulation, des Nudging und allseits erhobener Zeigefinger bei gleichzeitiger Desavouierung von Kritik, zu aufgeladen die Atmosphäre durch die Fakes und Shitstorms in den sozialen Medien, zu beschädigt bereits die Gesellschaft von der Politik des Wirtschaftsliberalismus.

 

Wer mit der Komplexität der gegenwärtigen Massenkommunikations-Verhältnisse nicht umgehen will, läuft Gefahr, auch mit berechtigten Ambitionen ins Leere zu stolpern. Das haben die konzeptuell hochaufgeladenen und künstlerisch bis auf wenige Ausnahmen entleerten Festwochen 2017 bewiesen. In der Ausgabe 2018 war dann das Angebot zu wenig umfangreich, um wieder mehr Publikum zu holen. Und das, obwohl es einige ausgezeichnete Arbeiten enthielt.

 

Vorausblick: Mit der Ausgabe im kommenden Jahr steht also ein herausfordernder Start bevor. Was kann eine neue Intendantin – es wäre unbedingt wünschenswert, dass einmal eine Frau das künstlerische Ruder der Festwochen übernimmt – nun unternehmen, um diesem so wichtigen Festival in abenteuerlich kurzer Zeit wieder die Richtung, den Tiefgang und den Zuspruch zu geben, die es verdient? Immerhin müsste das neue Programm eigentlich bis Anfang Dezember, spätestens im Februar fertig sein. Große Produktionen brauchen aber üblicherweise wesentlich längere Vorläufe.

 

Also wird für die Festwochen 2019 eine kollektive Kuratierung Sinn machen, die bereits von der künftigen Intendantin als Übergang moderiert und mitbestimmt wird. Der Druck der kurzen Zeit für die Programmierung sollte als Chance gewertet werden, die Festwochen 2019 als großes, offenes Experimentierfeld und keinesfalls als Notlösung zu verstehen. In diesem könnte zum Beispiel der Fokus auf die in den vergangenen Jahren marginalisierte Kunst der ost- und südeuropäischen Länder gelegt werden – um so ein Zeichen gegen das politische und kulturelle Auseinanderdriften von Ost-, West- und Südeuropa zu setzen sowie die bundespolitische Visegradisierung Österreichs herauszufordern.

 

Vordringen in die Konfigurationen eines brutalen Umbruchs

 

Von der neuen Intendantin sollte zu erwarten sein, dass sie mit Detailwissen großformatig im Sinn der Gestaltung eines Publikumsfestivals für die bevorstehenden Zwanzigerjahre dieses Jahrhunderts denken kann. Dass sie als Kuratorin mit Haltung, aber ohne die Hysterie in der Gegenwartskultur, den anschwellenden Bocksgesang der Gegenwart genauso versteht wie jene Kunstformen, die sich kritisch dazu verhalten.

 

Sie müsste ein ausgezeichnetes Sensorium dafür haben, welche Formen unter anderem des Sprech- oder Musiktheaters, der zeitgenössischen Choreografie, der heterogenen Performance und der bildenden Kunst den Nerv der Zeit treffen und welche künstlerischen Experimente tiefer in die Konfigurationen des brutalen Umbruchs, in dem wir leben, vorzudringen imstande sind. Zusätzlich sollte die Festwochen ab 2020 auch ein ausgesuchtes Filmprogramm bereichern. Offen gelegte thematische Leitfäden respektive kontextualisierende Netze könnten die Orientierung erleichtern. Die Inhalte dafür liegen derzeit in Ausmaßen wie nie zuvor gleichsam auf der Straße.

 

Die Festwochen sind als Großfestival das ideale Format dafür, den riesigen Komplex der Gegenwartskünste als kulturbildende Kräftedynamik so abzubilden, dass das Publikum sich – auch kritisch – damit identifizieren kann. Für alle künftig Beteiligten wird das wohl ein echtes Abenteuer.

 

(21. 6. 2018)